Istanbul. Es ist Samstag morgen, kurz vor halb acht. In gut einer Viertelstunde hebt mein Flieger Richtung Luxemburg ab, genau rechtzeitig um pünktlich um 14 Uhr zum Spiel des FCS gegen Türkgücü im Ludwigspark zu stehen. Nur leider ohne mich, denn ich bin gerade erst panisch in meinem Hotelbett wachgeworden. Die letzte Nacht war dann wohl doch etwas lange und das letzte Bier ist mir nicht besonders gut bekommen, aber die Einladung meines türkischen Freundes konnte ich unmöglich ausschlagen.
Frust macht sich breit, der Flieger und somit auch das heutige Heimspiel sind nicht mehr zu erreichen. Doch nach der kurzen Panik kommt mir ein Gedanke der mir gefällt. Eigentlich habe ich am Wochenende nichts geplant, mein eigenes Fußballspiel für Sonntag wurde abgesagt, das Spiel heute erreiche ich sowieso nicht mehr, warum also nicht meine kleine Südosteuropa-Tour verlängern? Schließlich ist diese noch ungekrönt, der eigentliche Grund weshalb ich in Istanbul bin war das Europapokalspiel zwischen Galatasaray und Lazio Rom vergangenen Donnerstag, mein Ticket musste ich jedoch letztlich verschenken, da die bürokratischen Hürden zum Stadionbesuch eines Ausländers in Zeiten von Corona einfach zu hoch waren. Nach Angaben des Ticketportals hätte ich persönlich beim Gesundheitsministerium vorstellig werden müssen um meine Impfung nachzuweisen und dadurch eine Zugangsberechtigung zu erhalten, ziemlich absurd und da ich erst am Donnerstag gelandet bin auch leider nicht zu machen.
Ich wusste, dass am Sonntagabend ein ganz besonderes Fußballspiel in Europa stattfindet. Das „ewige Derby“, Partizan gegen Roter Stern, ich buchte mir den nächstmöglichen bezahlbaren Flug nach Belgrad. Ein Spiel, in dem es um alles geht. Partizan konnte seine ersten sieben Saisonspiele allesamt gewinnen, Roter Stern holte sechs Siege und ein Unentschieden. Bereits jetzt ist klar, es geht nicht nur um die Vormachtstellung in der Stadt, sondern auch die Meisterschaft wird sich wohl in den beiden Derbys entscheiden.
Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg in Richtung Stadion. Ein klein wenig die Atmosphäre in der Stadt und um das Stadion aufsaugen und Tickets kaufen. Nach Istanbul möchte ich auf Nummer sicher gehen, dass ich abends auch wirklich ins Stadion komme. Auf dem Weg begegnet man ein paar an Brücken aufgehängten Bannern und einigen Polizeistaffeln, sonst merkt man noch nichts von dem anstehenden Spiel. Der Ticketkauf war kein Problem, Corona spielt hier auch sonst eine eher untergeordnete Rolle. Also geht’s zunächst wieder zurück in die Stadt, um gemeinsam mit dem Bettnachbarn aus meinem Hostel, den ich überreden konnte mit ins Stadion zu kommen, noch ein Bier zu trinken. Etwas später geht es mit einer Mischung aus Vorfreude und einem mulmigen Gefühl zurück Richtung „Stadion Partizana“, welches übrigens nur etwa 500 Meter vom „Stadion Rajko Mitić“, genannt Marakana, des Rivalen Roter Stern entfernt liegt. Zu viel las ich im Vorfeld über wüste Ausschreitungen und Schlägereien in und um das Stadion im Rahmen dieses Spiels. Die Polizeipräsenz war extrem, doch Sicherheit vermittelte diese in ihrer Kampfmontur nicht wirklich. Am Stadion angekommen jetzt ein anderes Bild. Eine Mischung aus in Richtung Stadion strömenden Fans, Schalverkäufern und Leuten die noch schnell ihr letztes Dosenbier leerten, Alkohol war im Stadion schließlich verboten. Wir mischen uns unter die Menge und laufen in Richtung Eingang. Auf dem Vorplatz und im Stadion gibt es die ersten Schmähgesänge in Richtung der Gäste.
Wir haben Plätze auf der Gegengerade für 2000 Serbische Dinar, umgerechnet 17€, gekauft. Dadurch erhoffen wir uns eine gute Sicht auf das Spiel und die beiden Fanblöcke, aber vor allem möglichen Ausschreitungen aus dem Weg zu gehen. Unsere Angst war, soviel vorweg, am heutigen Tag unbegründet, alles verlief friedlich. Um 18 Uhr Ortszeit war es dann endlich soweit, der Schiedsrichter pfeift das Spiel an. In den Kurven werden kleine Choreographien gezeigt, es brennen einige Bengalos. Unser Sitzplatz ist längst keiner mehr, alle stehen auf ihren Sitzschalen. Die Heimmannschaft zeigt sich von Anfang an hochmotiviert und hat eine gefühlte Überlegenheit auf dem Feld, die erste Chance haben aber nach Kommunikationsproblemen der Partizan-Abwehr die Gäste, der Torwart kann allerdings im 1 gegen 1 entschärfen. Auch die nächste Möglichkeit für Roter Stern, nach Flanke aus dem Halbfeld köpft die Nummer 10 an die Latte. Danach generiert auch Partizan aus seiner Überlegenheit endlich ein paar Möglichkeiten und belohnt sich in der 36. Minute mit einem trockenen Schuss aus circa 20 Metern ins kurze Eck zum 1:0. Rund um uns Ekstase, alle rasten aus. Die Stimmung ist gut, vor allem wenn Schmähungen in Richtung der Gäste angestimmt werden wird es laut. Partizan hat danach noch ein, zwei ganz gute Möglichkeiten, es geht aber mit 1:0 in die Pause.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit machte zunächst der Gästeanhang auf sich Aufmerksam, gefühlt jeder hielt ein rot leuchtendes Bengalo in der Hand. Jetzt nach Einbruch der Dunkelheit durchaus schön anzusehen. Auch sonst war es einen klasse Auftritt des Gästeblocks, bei dem trotz Rückstand jeder alles gab um die Mannschaft voranzutreiben.
Das Spiel war währenddessen etwas eingeschlafen, Partizan verwaltete die Führung geschickt und setze ab und an Nadelstiche nach vorne, Roter Stern fand keine Mittel, die Defensive der schwarz-weißen zu knacken. Ich hatte mich schon mit dem 1:0 abgefunden, doch dann fiel dem Nichts nach einer butterweichen Flanke vom Sechzehnereck auf Katai, Nummer 10 von Roter Stern, der Ausgleich. Dieses mal köpfte er souverän ins lange Eck statt an den Querbalken. Frust bei den Partizan Anhängern, der Gästeblock feiert frenetisch, erneut unter Einsatz zahlreicher Bengalos. Danach passierte nichts mehr, es blieb beim Unentschieden. Die Fans von Roter Stern hatten durch ihren unermüdlichen Support den Punkt redlich verdient, für die Mannschaft war es wohl recht schmeichelhaft. Die Partizan Fans feierten ihre Mannschaft für ein tolles Spiel und eine bis dahin gelungene Saison, man bleibt 2 Punkte vor dem Rivalen. Auch die Gäste feiern mit ihrer Mannschaft den späten Punktgewinn und somit endet das Spiel friedlich und für alle halbwegs zufriedenstellend. Wir laufen zurück in die Stadt und holen die Biere nach, die es im Stadion nicht gab. Mein Heimflug am nächsten Tag ist schließlich erst Nachmittags...
Derby in Belgrad. Da hält es keinen auf den Sitzen! Gästeblock zu Beginn der 2. Halbzeit